• Link zur Seite versenden
  • Ansicht zum Drucken öffnen
 

Milchausschankhäuschen

Die Christoph & Unmack AG bot verschiedene Typen von Milchausschankhäuschen in ihren Katalogen an.
001

Aufmerksamen Bürgern verdanken wir das Wiederauffinden eines originalen Milchausschankhäuschens der Firma Christoph & Unmack in Görlitz. Das Kleingebäude konnte im März 2025 geborgen werden, um es restaurieren und wieder nutzbar machen zu können. Es handelt sich nicht nur um einen seltenen Gebäudetyp mit einem sehr interessanten geschichtlichen Hintergrund, sondern überdies mit ca. 120 Jahren um eines der wohl ältesten erhalten Gebäude in Doecker-Bauweise – der überaus erfolgreichen Tafelbauweise von Christoph & Unmack.

 

Ab den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts kam es in den deutschen Industrieorten zu einer verstärkten Effektivierungswelle. Es wurden Maßnahmen ergriffen, die die Produktion steigern sollten. Die Sozialpolitik setzte gleichzeitig auf eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die Industriearbeiter. Insbesondere versuchte man mit verschiedenen Maßnahmen, den verbreiteten Alkoholismus in den Belegschaften einzudämmen. Dieser hatte seinen Ursprung auch in den Bier- und Schnapsdeputaten in manchen Betrieben. Dem begann man mit dem kostenlosen oder preisvergünstigen Ausschank von Selterswasser und Milch zu begegnen. Es gründeten sich Verbände, Konsortien und Gesellschaften, wie die Gemeinnützige Gesellschaft für Milchausschank in Rheinland und Westfalen GmbH, die den Ausschank in eigens dafür gebauten Verkaufshäuschen organisierten. Diese Ausschankstellen waren oft sehr auffällig gestaltet und wurden auf zentralen Plätzen und in der Nähe großer Betriebe aufgestellt. Mehrere der Anbieter setzten auf einen hohen Wiedererkennungswert, sodass für die Häuschen nur Serienfertigungen in Frage kamen. Diesen Markt bediente vor allem auch die Firma Christoph & Unmack in Niesky.

 

Das aufgefundene Exemplar wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit einmal im Görlitzer Innenstadtbereich eingesetzt. Auf historischen Fotografien von Robert Scholz und Alfred Jeschke aus der Zeit um 1910 wurden baugleiche Exemplare entdeckt. Eines befand sich demnach am Lutherplatz, Ecke Krölstraße vor dem ehem. Zentralhospital. Ein weiteres Exemplar (oder dasselbe zu einem anderen Zeitpunkt) stand am Postplatz nahe der Frauenkirche. Es ist zu vermuten, dass es noch weitere Milchhäuschen in Görlitz in der gleichen Zeit gegeben hat. Dennoch bleibt die Wahrscheinlichkeit hoch, dass eines der genannten, zuverlässig lokalisierten Exemplare mit dem gefundenen Exemplar in Görlitz-Königshufen identisch ist.

 

Zuletzt befand sich das Gebäude auf einem Privatgrundstück am nördlichen Stadtrand von Görlitz und wurde als Holzschuppen genutzt. Wann es dorthin versetzt worden ist, ließ sich nicht mehr rekonstruieren. Denkbar ist, dass es noch eine Zwischennutzung als Kiosk erfuhr, denn eine der originalen Seitenwände war durch eine provisorische Wand mit einer breiten Öffnung ersetzt worden, die tresenartig gestaltet war.

 

Zusammen mit Auszubildenden im Zimmererhandwerk des BSZ Löbau, die von ihrem Ausbilder und unseren langjährigen Freund und wiederholten Projektpartner Christian Schmied angeleitet wurden, haben wir das Milchschankhäuschen am letzten Standort dokumentiert und bei erster passender Wetterlage im neuen Jahr 2025 abgebaut. Die geborgenen Bauteile wurden durchnummeriert und in Listen eingetragen, um eine spätere Rekonstruktion zu ermöglichen. Die Aktion wurde fotografisch begleitet. Somit wird das Gebäude für eine anschließende Restaurierung und Wiedernutzbarmachung vorbereitet.

 

Das Gebäude befindet sich in einem dem Alter und den verschiedenen Zwischennutzungen entsprechenden Zustand. Vier von fünf originalen Fenstern sind erhalten. Die originale Tür ist teilweise erhalten bzw. wurde bereits mehrfach unsachgemäß repariert. Es sind starke Schäden im Dachbereich und in der Sockelzone vorhanden. (Fußboden bzw. Fundamentrost vermutlich komplett unbrauchbar); eine von vier Wänden fehlt bzw. wurde anderweitig geschlossen. Hervorhebenswerte Details sind das gestaltete Schutzdach über der Tür, Reste der originalen Fassung und das originale Herstellerschild aus Blech.

 

Das Objekt befindet sich in einem schlechten Erhaltungszustand. Wesentliche Teile müssen rekonstruiert werden. Aufgrund der Seltenheit eines solchen Milchschankhäuschens lohnt sich das Vorhaben aus der Perspektive der Bauforschung und Denkmalpflege dennoch. Die Bauteile sollen im BSZ Löbau im Rahmen der Ausbildung repariert oder bei Bedarf nachgebaut werden. Dazu suchen das Museum Niesky und das BSZ Löbau Unterstützung.

 

 

Nutzungsidee

 

Es wurden bereits verschiedene Überlegungen angestellt, zur Rekonstruktion und Restaurierung Partner aus der Wirtschaft oder aus dem kulturellen/touristischen Bereich zu gewinnen. Es wäre zu wünschen, dass das Milchausschankhäuschen zukünftig einmal wieder im Sinne seiner ursprünglichen Funktion genutzt werden könnte – als Verkaufsstätte für Milchprodukte o.ä. Am neuen Aufstellungsort kann das Milchhäuschen für Werbezwecke für Niesky eingesetzt werden. Zu prüfen wäre, ob das Häuschen ggf. auf einem stabilen Stahlrost montiert werden kann, um es leichter transportieren zu können, z.B. um es auf Märkten und Festen einsetzen zu können. Somit wäre es ein idealer Werbeträger auch für Niesky und das Museum. Allerdings überschreiten die Abmessungen des Originalgebäudes vermutlich die zulässige Gesamtbreite für eine Überführung auf öffentlichen Straßen ohne Sondergenehmigung. Eventuell ist deshalb eine Zweiteilung an konstruktiv geeigneter Stelle zu prüfen. Alternativ ist ein dauerhafter Standort zu wählen.

 

Möchten Sie das Projekt Milchausschankhäuschen mit einer Spende oder ggf. sogar eigener Arbeitsleistung unterstützen? Dann melden Sie sich bei uns. Wir freuen uns auf Sie.

 

Literaturempfehlung: Michael Kamp: „... den Milchgenuss … mit allen Mitteln zu fördern“ – Aspekte des Gesundheitsmarketings vor dem Ersten Weltkrieg. In: Jahrbuch des Rhein-Sieg-Kreises; Siegburg, 2020; Ausgabe 36 (Jahrgang 2021), Seite 130-136.